Tempelrundgang


Beim ersten Tempel läutete Aarti die Glocke. Ich zog die Schuhe aus, wir traten zusammen ein und umkreisten den inneren Block. Das Wichtigste an diesem Tempel ist sein Wassergraben: Auf drei Seiten, die oben vergittert sind, führen je dreissig Stufen zum Wasser hinunter. Für Aarti ist es ein massgeblicher Ort in ihrem Quartier, und so wusste sie, welches der Gitter sich öffnen liess. Sie führte mich die Treppe hinunter, auf der überall verstreut nasse Kleider lagen. Diese werden von ihren Besitzern nach dem Bad im Ganges nass die Treppe hinunter geworfen, damit die Muttergöttin ihnen den Wunsch nach einem Kind erfüllt. In einer Ecke türmten sich dicke, in alte Saris gewickelte Kleiderbündel, die mich an Aartis Schlafplatz erinnerten. Sie trank etwas Wasser und träufelte sich und auch mir einige Tropfen über den Kopf.
    Wieder oben und draussen, auf einer stark befahrenen Strasse angelangt, tranken wir erst einen Chai, bevor wir einen Ashram besuchten, in dem zahlreiche Sadhus leben, die täglich in ihren orangen Kleidern an den Ganges pilgern. Die meisten sind ältere, oft raue Kerle, die hier ein Zuhause gefunden haben. Aarti wollte mich ihrem Babaji vorstellen und führte mich in einen etwas erhöhten Bereich, in dem rund dreissig Sadhus auf Stühlen sassen. Dies löste eine ziemliche Protestwelle aus. Ich war etwas irritiert, denn Aarti bestand darauf, dass ich ihr folgte. Doch die Männer liessen innert Sekunden einen Polizisten kommen, der mir ziemlich klar zu verstehen gab, dass ich hier nicht erwünscht war. Dies war denn auch für Aarti ein klares Zeichen, und wir verzichteten beide darauf, an diesem Morgen ihren Babaji zu begrüssen.
     Draussen auf der Strasse zeigte sie mir das Spital, das gleich gegenüber lag, in dem sie einige Zeit verbracht hatte.
Sie führte mich zum nächsten Tempel, und unterwegs kauften wir einen Sack Äpfel. Um einzutreten mussten wir uns durch eine niedrige Öffnung ducken. Dann befanden wir uns in einem sehr stillen Tempelhof, in dem ein anderer ihrer Babajis sass, der sehr freundlich wirkte. Aarti sprach eine Weile mit ihm, kniete sich dann vor ihn nieder und berührte seine Füsse. Sie besucht ihre Babajis regelmässig, um deren Füsse zu berühren, und dadurch gehört sie zu einer Gemeinschaft, die ihr als Sadhu-Frau Sicherheit gibt. 
Nach diesem fünfstündigen Rundgang kehrten wir an den Tulsi-Ghat zurück, wo noch immer viele Frauen um ihre Lehmfigur kreisten.